Unterzeichnung der Stiftungsurkunde mit Minister Georg Maier

„Wir wissen um die Gefahren, die noch im Boden stecken – manchmal werden wir aber auch überrascht, weil nicht alles durch moderne Technik erkennbar und lösbar ist. Bomben und Granaten, die schon mehr als 75 Jahre in der Erde liegen, sind nicht berechenbar. Sie sind eine Gefahr für Leib und Leben – und das jederzeit und an jedem Ort in Deutschland“, macht Prof. Johannes Preuß deutlich. Der emeritierte Professor der Universität Mainz setzt sich als aktives Mitglied des Kuratoriums der neuen Stiftung „Kampfmittelfreier Lebensraum – Sicherheit für Leib und Leben – Schutz für Flora, Fauna, Habitat“ für eine professionelle Aufarbeitung der Vergangenheit und Entsorgung von Altlasten ein.

Die Stiftung hat aktuell die Stiftungsurkunde aus den Händen von Georg Maier, Minister für Inneres und Kommunales des Landes Thüringen, erhalten.

Stiftungsgeber Jan-Bernd Kappelhoff sagt: „Wir nehmen die Verantwortung an und stellen uns dieser, um einen gesellschaftlichen Beitrag bei der Beseitigung von Kampfmitteln aus den beiden Weltkriegen zu leisten.“ Dafür stelle er der Stiftung einen Millionenbetrag zur Verfügung.

Ziel der Stiftung kampfmittelfreier Lebensraum ist es – so ist es im Stiftungszweck beschrieben: „Die Stiftung verfolgt als Zweck die Ortung, Überwachung und Planung von Fundstellen zur sowie die Entschärfung, Räumung und Vernichtung von Bomben, Sprengkörpern, Waffen, Munition und anderen explosiven Stoffen und gefährlichen Gegenständen („Kampfmittelbeseitigung“).

Die Stiftung hat sich zum Ziel gesetzt, Veranstaltungen zur Information und Aufklärung über Gefahren sowie Prävention über Kampfmittel durchzuführen und insoweit auch aktiv Schulungen und Unterweisungen von Amtsträgern und Privatpersonen über das Verhalten im Gefahrenfall vorzunehmen. Weiterhin ist die Aus- und Fortbildung von Fachkräften zur Durchführung der Kampfmittelbeseitigung angedacht.“ Noch immer gehen Gefahren von Bomben, Munition, Handgranaten und anderen Waffen aus den Weltkriegen aus – die systematische Aufbereitung und professionelle Entsorgung haben sich Prof. Dr. Johannes Preuß, Josef Göppel und Günter Westrup sowie Stiftungsgeber Jan-Bernd Kappelhoff sich nun zur Aufgabe gemacht.

„Wir übernehmen Verantwortung für die nachfolgenden Generationen und unterstreichen das auch durch den Stiftungsauftrag, der neben der Schaffung von kampfmittelfreiem Lebensraum auch eine professionelle Fortbildung in der Kampfmittelräumung als Kernaufgabe formuliert“ erläutert, Günter Westrup als Sprecher des Stiftungskuratoriums abschließend und Stiftungsgeber Kappelhoff ergänzt: „Dabei liegt ein Schwerpunkt auf dem Lernen und Lehren – vor allem im Themenfeld der Geophysik“.

„Ich freue mich, die Stiftung anerkennen zu dürfen. Für ihre Arbeit wünsche ich ihr größtmöglichen Erfolg. Die Stiftung wird sich vorbildlich für das Gemeinwesen und das Lebensumfeld der Menschen einsetzen. Für diesen Impuls bin ich allen Beteiligten sehr dankbar.“

Georg Maier, Minister für Inneres und Kommunales des Landes Thüringen
Bild: TMIK

Den Rauschenberg zurückgewinnen

Naturschutz und Kampfmittelräumung arbeiten Hand in Hand

Stück für Stück arbeiten sich Kampfmittelräumer seit Anfang 2021 am Rauschenberg in Hessen voran. 27 Hektar Wald werden sie in den kommenden Monaten sondieren. Ohne die Hilfe eines Artenschützers kämen sie kaum voran.

Das Naherholungsgebiet in der Nähe von Fulda hat bei den Menschen in der Region einen hohen Stellenwert. „Der Rauschenberg ist für unsere Gemeinde, aber auch für die ganze Stadtregion Fulda ein sehr wichtiges Ausflugsziel“, sagt Sebastian Kircher, Pressesprecher der Gemeinde Petersberg. Da das Waldgebiet, mit zahlreichen Spazierwegen, nah an verschiedenen Wohngebieten liege, sei es gerade in Corona-Zeiten eigentlich ein wichtiger Anlaufpunkt. Doch erst wenn es wieder frei von Kampfmitteln ist, dürfen Spaziergänger und Sportler das Waldgebiet wieder frei betreten.

Nachdem Bauarbeiter im Herbst 2017 scharfe Munition aus dem Zweiten Weltkrieg unter der Erdoberfläche des Rauschenbergs gefunden hatten, wurde das Waldgebiet gesperrt. „Durch die Nähe des Rauschenbergs zum Hauptbahnhof Fulda ist bekannt, dass diese Region stark bombardiert wurde“, sagt Kircher und er ergänzt: „Dass die Gefahren allerdings so nah liegen, war eine Überraschung.“

Munition lässt sich beseitigen. Und das lässt sich gut planen. Schwierig kann das jedoch werden, wenn zusätzliche Probleme auftauchen. So wie am Rauschenberg im Jahr 2019. Der Wald wurde krank. So krank, dass er für die Menschen zusätzlich zur Gefahr wurde. „Plötzlich waren nicht nur die Kampmittel ein Problem, sondern auch instabile Bäume.“ Die Gemeinde sperrte daraufhin das gesamte Waldgebiet. Übrig blieb nur der Rundwanderweg um den Rauschenberg – ein asphaltierter Weg, weit genug entfernt von den betroffenen Bäumen.

Um das beliebte Ausflugsgebiet schnellstmöglich wieder zugänglich zu machen, mussten die Verantwortlichen einen noch detaillierteren Plan entwickeln, als ursprünglich angedacht. Die Herausforderung dabei: die Balance zwischen Kampfmittelräumung und Naturschutz zu finden. „Denn beide Komponenten bedingen sich“, erklärt Kircher. „Die Kampfmittelräumer konnten nicht in den Wald wegen möglicher Gefahren durch die Bäume. Die Förster nicht wegen der Blindgänger.“ Eine intensive Projektplanung startete. „Es war nicht einfach, entsprechende Partner für dieses Projekt zu finden“, so Sebastian Kircher.

Doch jetzt geht es voran. Und es geht Hand in Hand. Um die artenschutzgerechte Umsetzung kümmert sich Matthias Müller. Regelmäßig ist der und Naturschützer auf dem Areal unterwegs und verschafft sich einen Überblick. Denn Flora und Fauna geben die Herangehensweise vor. „Da sich die Arbeiten über eine lange Zeit ziehen, müssen wir den Rhythmus der Tiere zu den verschiedenen Jahreszeiten beachten“ erklärt Matthias Müller. Der 57-Jährige ist selbstständiger Arten- und Naturschutzgutachter und studierter Biologe. Er kennt den Rauschenberg und weiß, dass dort Tiere leben, die unter die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie fallen. „Beispielsweise die Haselmaus oder verschiedene Fledermausarten.“ Aus Rücksicht auf sie steht der Biologe in engem Kontakt mit dem Bauleiter. Wir schauen, wo Hecken entfernt werden müssen, damit die Sondierungsarbeiten für die Kampfmittelräumung möglich sind und schaffen entsprechend neue Rückzugsorte.“ Reisighaufen und Benjeshecken bieten sich dafür an.

Auf der anderen Seite kommt Müllers Tätigkeit auch den Bauarbeitern zugute. Er hat für sie alle Bäume markiert, die von der Buchenkomplexkrankheit betroffen sind. Dadurch wissen die Kampfmittelräumer, wo Vorsicht geboten ist. „Es ist ein sehr komplexes Projekt, das die gesamte Ökologie des Rauschenbergs im Blick hat und nur im engen Austausch miteinander funktioniert“, betont Müller. Er freut sich auf die weitere Zusammenarbeit mit den Kampfmittelräumern in den kommenden Monaten und ist sich sicher: „Stück für Stück werden wir den Rauschenberg wieder zurückgewinnen.“ Für die Menschen in der Region ist das eine gute Nachricht.

Fotos: Gemeinde Petersberg, David Nüchter (Hessen Forst)

Sicher und natürlich: Oasen für Mensch und Natur

Jan-Bernd Kappelhoff

Jan-Bernd Kappelhoff erklärt im Interview, welche Entwicklungen die „Stiftung kampfmittelfreier Lebensraum“ vorantreiben möchte, die neue und wiedergewonnene Entfaltungsmöglichkeiten für die Natur und den Menschen ermöglichen.

Herr Kappelhoff, Sie setzen sich mit der „Stiftung kampfmittelfreier Lebensraum“ dafür ein, Lebensraum für die Natur und den Menschen zurückzugewinnen. Was steckt hinter diesem Ziel?

Kappelhoff: Es sind kampfmittelfreie Lebensräume entstanden wie der Nationalpark Hainich in Thüringen oder natürliche Idyllen wie entlang der Ruhr. Sie geben der Natur und den Menschen viel: Entspannung, Erholung und Frieden. Diese Orte bieten in besonders fordernden Zeiten den notwendigen Raum für einen dringend notwendigen Ausgleich. Auf der anderen Seite erholen sich seltene Tierarten und es entstehen Wälder, die früheren Urwäldern ähneln. Unser Ziel ist es, diese Lebensräume sicher zu machen.

Die Renaturierung von Flüssen wie der Ruhr geht vielerorts voran. Da denken viele Menschen nicht als erstes an Rüstungsaltlasten. Warum müssen sie sich keine Gedanken machen?

Kappelhoff: Wer das Ruhrtal einmal erlebt hat, den zieht es häufig dorthin wieder zurück. Ich kenne viele Radler, die die wiedergewonnene Natur entlang des Flusses auf dem Ruhrtalweg immer wieder aufs Neue genießen. Für die Menschen, aber auch für uns ist es eine Selbstverständlichkeit, dass das unbeschwert möglich ist. Jedoch tauchen am Ufer manchmal Überreste aus dem 2. Weltkrieg auf. Meistens bergen sie keine Gefahr, jedoch stören sie den erst jüngst zurückgewonnen Lebensraum. Wenn ich dann erfahre, dass Spezialisten aus unserer Branche Verantwortung übernehmen und erfolgreich geräumt haben, freut mich das für die Menschen und mich erst recht persönlich.

In Deutschland existieren Gebiete, die als Übungsplätze militärisches Sperrgebiet waren. Was bietet sich für diese Flächen an?

Kappelhoff: Das schon angesprochene Beispiel des Nationalparks Hainich kommt meiner Idealvorstellung nah. Wo einst die Rote Armee Übungen durchgeführt hat, ist nun der Wald in seiner ursprünglichen Form da. Hier kann sich die Natur frei entfalten. An dieser Stelle kann ich gar nicht alle richtungsweisenden Projekte aufzählen, die dieses Gebiet jetzt ermöglicht. Abgesehen von dem klassischen Ausflugsziel Nationalpark gibt es einen „Lernort Wald“. Mädchen und Jungen erleben die Natur in der reinsten Form in einem grünen Klassenzimmer. Mit Rücksicht auf Flora und Fauna können sich die Menschen hier entfalten, ihre Sinne neu erleben.

Jeder der das erlebt hat, ist begeistert. Vor 30 Jahren wäre es noch undenkbar gewesen: Ein verschlossenes Gebiet ist nun sogar ein UNESCO-Weltnaturerbe. Nur wenn wir unsere Generationenaufgabe ernst nehmen und sie umsetzen, kann so etwas wahr werden.

Diese Räume zu schaffen, das ist Aufgabe und Ziel der Stiftung kampfmittelfreier Lebensraum.